tyro nomads

Yves · Einige Rechte vorbehalten · 8 min Lesezeit

Juni 2018 - Weltreise Update

Wie wir in unserem vorherigen Update erwähnten, waren wir nun hier in Edirne, in der Türkei. Von Weitem sahen wir bereits die großen Moscheen und als wir in die Stadt fuhren, bekamen wir einen ersten Eindruck vom türkischen Verkehr. Weiter ging es zu unserem Warmshowers Gastgeber, Engin, der Besitzer des Fahrradladens Trakya Bisiklet. Das war auch das erste Mal, dass wir Zeugen der türkischen Gastfreundlichkeit wurden. Alle begrüßten uns warmherzig und man bot uns Çay (Schwarztee) an und erzählten uns Geschichten über Edirne, ihre Freunde und Familien. Und wie immer in den letzten Tagen gab es um 17.00 Uhr starke Regenfälle. Wir waren sehr glücklich gemütlich drinnen sitzen zu können. Erleichtert waren wir darüber, dass mein kaputter Reifen uns bis hier gebracht hatte.

Am nächsten Tag bummelten wir ein wenig in der Stadt herum, liefen von Basar zu Basar, schauten uns die große Moschee an, entdeckten Ottomanische Häuser und aßen Baklava. Ich erinnere mich ins Besondere an eine Überraschende und ziemlich deliziöse Variante, SCHOKOLADENBAKLAVA! Als wir uns weiter herumtreiben ließen, wurde uns klar, dass Wahlen anstanden. Der derzeitige Präsident war ein großer Favorit und sein Gesicht war überall, an jeder Hausecke, jedem Auto, jeder Litfaßsäule, auf Kaffeeverpackungen, auf Kohlelieferungen, überall. Um einen der Kandidaten der Opposition zu finden, musste man suchen. Gesehen haben wir ein paar Plakate in kleinen Straßen und manchmal auf Autos.
Am Abend trafen wir ein anderes Fahrradfahrerpärchen, Iona und Matthew, sie wirkten erschöpft, sie hatten sich vorgenommen von Vietnam nach Schottland in 4 Monaten zu fahren, Chapeau!

Jeder Radfahrer, die beiden eingeschlossen, den wir bisher getroffen hatten, riet uns nicht nach Istanbul reinzufahren, der Verkehr sollte sehr gefährlich sein und der Weg nach Istanbul ziemlich langweilig. Plus, mein Vorderreifen war komplett kaputt. Wir haben einen neuen zur Adresse von Freunden von Freunden in Istanbul bestellt, also wählten wir den Zug.

Yves erfrischt sich in der großen Moschee von Edirne

Istanbul

Als sich der Zug Istanbul näherte, informierten uns die Schaffner, dass sich der Zug teilen würde, das geschah allerdings nie. An Stelle dessen hielt der Zug komplett, 30km vor Istanbuls Zentrum. Wir hatten keine andere Wahl als doch nach Istanbul reinzuradeln, eine sehr unschöne, gefährliche, hektische Erfahrung. Nach ca. 20km fanden wir eine Tram, in die wir unsere Räder hievten, um nach Karaköy nahe dem Taksimplatz zu fahren. Wir verbrachten ein paar Nächte in einem gemieteten Apartment, machten ein bisschen Sightseeing, aber die Hitze war so unerträglich und die Stadt so überwältigend, dass wir viel Zeit drinnen verbrachten - ausruhend, abhängend, Eis essend, leckere Gerichte kochend. In den nächsten Tagen hatten wir die großartige Möglichkeit Cansu, Burak und ihre herausragenden Freunde zu treffen. Sie hatten sich freiwillig gemeldet unsere Reifenbestellung entgegenzunehmen. Traurigerweise schlug der Zoll eine zusätzliche Steuer von 60% auf die Bestellung. Wir verweigerten die Zahlung und das Paket wurde zurück nach Deutschland geschickt. Wir hatten nun das Vergnügen durch 5 verschiedene Fahrradläden zu ziehen, um neue Tourigreifen zu finden. Zum Schluss fanden wir welche für einen guten Preis.

Die letzten Tage in Istanbul verbrachten wir in Cansus & Buraks schönen Zuhause. Die beiden machten Familienbesuche, also kümmerten wir uns um ihre süße Katze Lucy. Unser Tagesablauf änderte sich nicht viel, wir waren nun auf der asiatischen Seite der Stadt, Kadikoÿ. Wir wanderten ein wenig herum, verbrachten die meiste Zeit auf der Couch und schauten einige Spiele der Fußballweltmeisterschaft 😂.

Jetzt hatte ich neue Reifen, wir hatten uns gut ausgeruht, viel gegessen, planten die restliche Route durch die Türkei und nach ungefähr 9 Tagen wurden wir langsam unruhig. Wir wollten wieder aufs Rad.

Südost-Marmara

Wir entschieden uns wieder dafür nicht aus Istanbul raus zu radeln, anstatt dessen nahmen wir eine Abkürzung mit der Fähre übers Marmarameer nach Yalova. Wir lasen in Blogs, dass Reisende ihr gesamtes Gepäck scannen lassen mussten und auch noch extra für die Räder zahlen mussten. Keine extra Ausgaben für uns. Als wir den Scanner erreichten rieb der Angestellte, der den Apparat bediente sich die Hände über die Augen. Die Frustration erkennend, fragten wir unschuldig, ob wir echt was scannen mussten, seine Antwort war eine durchwinkende Handbewegung und das Öffnen des Tores. Wir danken ihnen lieber Herr!

Nachdem wir die Fähre verlassen hatten, verbrachten wir die nächsten Stunden damit auf Autobahnen bergauf zu fahren und an Tankstellen Unterschlupf vor den starken Regenfällen zu suchen. Wir lernten die zahlreichen Tankstellen der Türkei schnell zu lieben. Sie waren oft die einzigen Stopps auf diesen überfüllten Megastraßen, mit LKWs, Bussen, Motorrädern, usw. Hier gab es kostenlosen Çay, Trinkwasser, Toiletten (“Tuvalet” auf Türkisch), günstige Snacks & Drinks, Kompressoren für den Reifendruck, Picknickplätze, usw. Der Himmel für Radler, irgendwie.

Mimouna radlet durch den Regen am Baraj Gölü

Die nächsten Tage fuhren wir auf Nebenstraßen, durch Olivenplantagen, ein paar Hügel hoch, durch Felder und Dörfer, manchmal auf Kies, manchmal durch den Regen. Wir bekamen einen ersten Eindruck von den Dorfbewohnern, bis zu diesem Punkt wirkten die Menschen eher reserviert und sprachen nicht viel mit uns. Frauen winkten uns von den Feldern, auf denen sie arbeiteten, riefen “Hoş Geldiniz” (Willkommen), die Männer tranken Çay und schienen eher ihre Stirn zu runzeln, als wir in die Stadtzentren fuhren.

Diese ersten Eindrücke wandelten sich schon einen Tag später, während unserer Essenssuche am Morgen fanden wir eine Bäckerei in der kleinen Stadt Pazayeri. Frauen und Männer unterhielten sich mit uns, sie boten uns Gebäck und Çay an, waren sehr neugierig über unsere Reise und erzählten uns ihre Geschichten. An diesem Punkt realisierten wir, dass es in der Türkei zwei Extreme zu geben scheint: Konservatismus und Gastfreundlichkeit. Dörfer sind vorwiegend konservativ und religiös, Liberalismus und kritisches Denken sind mehr eine Sache der Westtürkei und einiger größerer Städte des Landes.

Zentralanatolien

Als wir nach Eskişehir fuhren, total nass und ausgepowert öffnete Feyza, eine der seltenen türkischen Radfahrerinnen und Medizinstudentin ihre Türen für uns, wir fühlten uns sofort wieder wohl. Sie ist bisher unsere jüngste Gastgeberin und auch eine der freundlichsten. Sie lud uns zu leckeren selbst gekochten Speisen ein. Als wir bemerkten, dass Mimounas MacBook kaputt war, übersetzte Sie für uns und führte uns durch die Stadt. Sie beherbergte uns außerdem noch eine zweite Nacht, weil wir das Computerproblem nicht am ersten Tag lösen konnten.

Am nächsten Morgen planten wir unsere Route aus der Stadt heraus über Hügel und Kiespisten. Obwohl wir die Tankstellen mögen, ist der Verkehr auf Autobahnen ungenießbar. Feyza begleitete uns für die ersten 20km bevor sie wieder umdrehte. Wir waren jetzt alleine in Wüstenähnlichen Landschaften, ohne Bäume, keinem Schatten, nur Felsen, Schotter und vielen, vielen Kornfeldern.

Feyza, Yves und Mimouna radeln auf Schotterstraßen aus der Stadt

Wir fuhren weiter bei trockenen und staubigen Bedingungen, auf Schotter, weit weg von großen Straßen. Wir überquerten sogar einen großen Salzsee besonders diese Erfahrung fühlte sich an wie nicht von dieser Welt. Moscheen, winzige Dörfer wurden zu unseren Zielen. Sie versorgten uns mit Trinkwasser und von Zeit zu Zeit boten sie auch die Gelegenheit unsere Kleidung und uns selber zu waschen. In den wenigen Städten die wir passierten, wurden wir von sehr willkommen heißenden und verwirrten Menschen empfangen: “Was macht ihr hier? Es tut uns leid, aber hier gibt es keine Touristenattraktionen. Hier hast du Börek, füll dein Wasser auf, trink Çay, iss Baklava.”, es war unmöglich für irgendetwas zu bezahlen, das hätten sie niemals erlaubt. Dabei hörten wir uns ihre Geschichten an, viele sprachen einige Wörter deutsch oder französisch, weil sie in diesen Ländern gearbeitet hatten. Dies erfuhren wir sobald wir uns irgendwo hinsetzten. Die Leute kamen auf uns zu, um sich zu vergewissern, dass wir uns sicher und in guter Begleitung fühlten bis wir wieder aufbrachen. Einige Menschen folgten uns in Supermärkten, ziemlich unangenehm. Diese Zeiten fühlten sich lang an, es gab keine Möglichkeit allein zu sein und es wäre so dachten wir unhöflich gewesen die Leute, die uns gerade Essen uns Trinken anboten zu bitten uns allein zu lassen. Also erzählten wir unsere Geschichte wieder und wieder und sie wiederholten die ihrige. Und wenn sie anfingen über ihren verehrten Präsidenten zu reden, nickten wir einfach und erzählten ihnen, dass wir keine Ahnung davon haben was ihr despotischer Irrer so macht, in unseren Worten “Wir haben keine Ahnung von Politik”. Weil gerade Wahlkampf war und es eine Welle von Inhaftierungen von Oppositionellen und Ausländern gab, wollten wir zur unserer eigenen Sicherheit nicht in Diskussionen verwickelt werden.

Je südlicher wir fuhren, desto früher überfiel uns die Hitze am Morgen. Erst hatten wir Zeit bis 8.00 Uhr, dann mussten wir aber um 5.00 Uhr aufstehen, um ein paar Stunden bei erträglichen Temperaturen zu radeln. Manchmal stiegen die Temperaturen nachmittags auf +40°C.
Die einzigen Leute, die wir an diesen frühen Morgenden trafen waren Schäfer mit ihren Herden. Das Aufwachen wurde durch Schafglocken und Geblöke erleichtert. Kein schlechter Wecker.

Sonnenaufgang um 5 Uhr morgens, mit Schafen in der Ferne

Wir hatten aber auch ein unerfreuliches Erwachen. Ein Bauer belästigte uns sexuell um 5.30 Uhr. Er schaute durch unsere Zeltöffnung und bestand auf sexuelle Aktivitäten. Es war schwer ihn loszuwerden, erst dachten wir ihn missverstanden zu haben und sagten, dass wir verschwinden würden, aber er insistierte. Mimouna fing an ihn anzuschreien und drohte ihm mit der Polizei, dies amüsierte ihn nur. Weil nichts funktionierte ignorierten wir ihn daraufhin komplett, packten unser Zeug zusammen und verließen diesen Ort sehr sehr schnell, keine Zeit für Frühstück. Diese Erfahrung erschreckte uns sehr.

Kappadokien

Dieses frühe Erwachen hatte einen positiven Aspekt, wir erreichten Kappadokien früher als geplant. Mondlandschaften, in Fels gemeißelte Häuser, schöne Erinnerungen an frühere Zeiten und das erste Mal seit Istanbul ein touristischer Ort. Wir entschieden uns dafür hier eine Pause zu machen, nachdem wir tagelang durch Staub, Sonne, Schotter, Salzseen, Hügel gefahren waren und auf felsigem, sandigem Terrain oder in Kornfeldern geschlafen hatten, fühlten wir uns müde und dreckig. Und das war nicht alles, bei mir hatte sich auch ein Karpaltunnelsyndrom an der linken Hand entwickelt. Wir vermuten dies geschah aus zwei Gründen: Hunderte von Kilometern auf Kies und meine Leidenschaft ohne Handschuhe zu fahren.

Ein Blick auf die Stadt Göreme

Drei Nächte im Hotel kamen uns notwendig vor. Wir buchten ein Twinbed-Zimmer, jeder hatte sein eigenes gemütliches Bett! Ein großer Unterschied zu unserem 120cm breiten Zelt, das wir teilen. Wir schauten Filme, peelten uns mit selbstgemachtem Olivenöl und Salz, wir genossen die magische Szenerie mit den aufsteigenden Heißluftballons. Wir füllten unsere Bäuche mit lokalen Speisen und trafen das erste Mal seit Edirne auf andere Radreisende. Es fühlte sich so an, als würden sich alle in der Stadt Göreme versammeln.

Nach ein paar Tagen wurde meine Hand wieder besser und unsere Geister belebten sich wieder. Es war an der Zeit für uns den Rest der Türkei zu entdecken und an das Schwarze Meer zu fahren. In unserem nächsten Artikel werden wir über unser Abenteuer dort berichten.

Aus dem Hafen von Alat in Azerbaidjan, darauf hoffend, dass unser Containerschiff in den nächsten Tagen ankommt, Yves.


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