tyro nomads

Mimouna · Einige Rechte vorbehalten · 8 min Lesezeit

Juli 2018 - Weltreise Update

Dies ist ein Artikel darüber, wie man in die Scheiße fällt und wieder herausgezogen wird, mit nem du Dualspeed-Bike Berge erklimmt, mit dem Rad auf der Autobahn überlebt und schon morgens früh um 10.00 Uhr an Schnaps kommt.

Zentralanatolien

Von den Höhlengräbern Kappadokiens ging es nun durch trockene, weite Landschaften in die nächste große Stadt Kayseri.
Nachdem Yves schon seit Istanbul mit nem eiernden Rad durch die Türkei fährt, nehmen wir uns dem nun an. Wie so oft hilft uns eine Kontaktperson von Warmshowers weiter. Dieser Engel begleitet uns nicht nur zum Fahrradladen Zirve Bisiklet, dessen Chef uns für Lau das Laufrad justiert, den Mantel neu aufzieht und die Bremsen einstellt, er vermittelt uns auch einen Schlafplatz, den er über in der Türkei sehr aktive, lokale Whatsappgruppen spontan organisiert.

So treffen wir auf Barış einen Studenten des Maschinenbaus, Antikapitalisten und Sänger mit dem Traum eine Reise nach Südamerika zu unternehmen. In der sturmfreien Wohnung seiner Eltern fühlen wir uns so wohl, dass wir 2 Nächte bleiben.
Wir essen zusammen, unterhalten uns sehr viel mit der Hilfe von Google Translate, Barış singt uns mit der Begleitung seiner Gitarre und Laute mit Inbrunst alte türkische Lieder vor.
Barış spielt eine wichtige Rolle auf unserer Reise, weil er uns einige Wochen später den Kontakt zu Linda und Tim vermittelt. Die hatten kurz zuvor eine sehr aktive und hilfreiche Whatsappgruppe gegründet, deren Mitglieder zurzeit eine ähnliche Route mit dem Fahrrad durch Zentralasien fahren.

Was tut man nicht alles, um zum Essen eingeladen zu werden… Nach Kaiseri fahren wir nach Şarkışla und erledigen unsere üblichen Mittagspausen-Aufgaben, einkaufen, essen, chillen. Wenn die größte Hitze dann überstanden ist, steht die Nachmittagsetappe an, danach die Suche nach einer Wasserquelle und einem geeigneten Campingplatz. Als wir durch ein kleines Dorf fahren entdecken wir auf einer Wiese eine Wasserstelle für Kühe, wir bitten den Bauern das Wasser anzustellen. Danach überlegen wir kurz und fragen dann, ob wir auf der Wiese hinter der Wasserstelle kampieren dürfen. Die Antwort ist natürlich “ja”. Daraufhin fahren wir, Yves voraus, über die Wiese. Schade nur, dass wir viel zu spät höhren, dass nun die gesammelte Familie hinter uns herruft: “Stoooop”. Denn es war schon geschehen. Yves steckte mit dem kompletten Vorderrad, beiden Beinen und Armen tief in einem Gülleloch… Alle kamen angerannt und einer der Söhne des Bauern nahm sich ein Herz und zog den hilflosen Yves aus der Scheiße. Es folgte eine Ganzkörperdusche mit dem Gartenschlauch und weil wir wirklich eine unvergessliche Show geboten hatten, natürlich eine Einladung zum Abendessen. Erst bauten wir aber noch zusammen mit der gesamten Kinderbande (Kinder von 3 Söhnen des Bauern) unter Staunen und Interesse unser Zelt auf. Dann versammelte sich die Großfamilie um den reich gedeckten Tisch. Es gab Çiğ Köfte und zwar nicht wie sonst sehr häufig von uns konsumiert frisch vom Imbiss, sondern in mühsamer Handarbeit hergestellt. Für die, die es nicht wissen Çiğ Köfte sind Bällchen aus ungekochtem, feinen Bulgur, Tomatenmark, Zwiebeln und vielen Gewürzen. Die Imbissvariante ist vegetarisch, die Originalversion ist mit etwas rohem Rinderhack. Die Originalversion gab es bei der Bauernfamilie und es hat sogar Yves sehr gut geschmeckt. Dazu gab es Ayran und göttliche Butter selbstgemacht und von den eigenen Kühen, Tomaten Gurken und Salat aus eigenem Anbau und natürlich Çay. Dann ging es ab in die Haia. Morgens gab es dann ein ähnlich ausladendes Frühstück. Danke Yves, dass du uns das alles erkämpft hast ;).

Weiter gehts über Gemerek und ein paar Autobahnen nach Sivas, wo wir den besten Bäcker der Türkei treffen! Salziges und süßes Gebäck wird hier liebevollst in Handarbeit hergestellt und in einem Shop neben einer beliebten und echt coolen Studentenbar verkauft.
Wir campen an Seen und quatschen mit Einheimischen. Viele Leute kommen uns sehr nah bieten uns ihre sehr nett gemeinte Hilfe an oder wollen Fotos mit uns machen. Das ist sehr anstrengend für uns, wir fühlen uns manchmal fremd. Aber wahrscheinlich haben wir uns einfach noch nicht dran gewöhnt, jetzt wissen wir, dass zumindest das Selfiephänomen im Laufe der Reise noch größere Ausmaße annehmen wird!

Pontisches Gebirge

Vorfreude auf die etwas liberalere Region am Schwarzenmeer steigt, doch erst gilt es noch die Bergkette, die Inland und Küste voneinander trennt zu überqueren. Eine anstrengende Etappe, heiß - so heiß, dass der Teer auf den Straßen sich verflüssigte und überall kleben blieb und dazu noch sehr bergig, wir erklommen mit 2200m unseren bisher höchsten Berg.

Oft werden wir auf solchen Strecken belohnt und finden z.B. super Campingplätze. Himmlisch war eine Stelle mit fließendem frischen Wasser, viel Schatten, einem Tisch mit Bänken, einer Feuerstelle und super Aussicht - ein Traum für Fahrradfahrer. Danke an all die Menschen, die solche Plätze errichten und pflegen. Auch toll unsere Erdbeermilchshakes in der Studentenstadt Şebinkarahisar, denn künstlicher Erdbeergeschmack ist überall gleich und manchmal kann man einfach keine Überraschungen gebrauchen.

Dann trifft uns das Schicksal allerdings etwas zu hart… Auf einem Umweg, den wir in Kauf nehmen müssen, um Wasser und Nahrung zu kaufen geht Yves’s Schaltzug kaputt und natürlich haben wir genau dieses Ersatzteil nicht dabei. Die Konsequenz daraus ist: Yves muss ab jetzt mit 2 Gängen auskommen und der Berg hat Nichtmal richtig angefangen.

Dann kommt der höchste der zu überwindenden Berge zum Glück haben Yves und ich an diesem Tag sehr gute Laune und sind mental auf die Anstrengungen eingestellt. So schaffen wir es trotz Gegenwind zügig den kargen und doch wunderschönen Berg hochzufahren. Auf dem Weg treffen wir auf zahlreiche Kuhherden, Schafherden und Hirtenhunde. Bergab werden wir überrascht. Die Rückseite des Berges hat ein vollkommen anderes Klima und es wird grün, bewaldet, es blüht - die Atmosphäre ändert sich. Es gibt wieder ein paar Ansammlungen von Häusern und prompt werden wir schon wieder von einem Deutschtürken aus Hamburg vor einer kleinen Moschee zum Kaffee eingeladen. Wir treffen auch wieder auf andere Touristen, die mit ihren schicken Wagen den Berg hochfahren, um Freundin, Frau oder Familie Wasserfälle und Berge zu zeigen.
Das Klima änderte sich auch schlagartig, aus trocken und windig wurde feucht und regnerisch. Wir hatten das Schwarzemeer erreicht.

Schwarzes Meer

Hier fängt ein ganz neuer Abschnitt unserer Türkei Erfahrung an. Wir fahren nach Giresun und nachdem wir Mimos lästige Reifenpanne repariert hatten entschlossen wir uns, müde wie wir waren ein Hotel für die Nacht zu buchen. Am Hotel angekommen wartete leider ein ziemlich unkooperativer und meiner Meinung nach verkaterter Hotelbesitzer auf uns. Unsere Fahrräder stellten ein großes Problem für ihn und sein Blitz blankes Hotel dar. Es gab keine Möglichkeit unsere Fahrzeuge im Innenraum abzustellen. Nach einigem Herum diskutieren lernten wir den netten Mann vom Otopark (Parkplatz) nebenan kennen, der unsere Räder umsonst in der Nacht in seinem kleinen Pförtnerhäuschen unterbrachte. Typisch für die Türkei - Problem und Lösung liegen hier oft so nah beieinander.

Abends belohnten wir uns dann mit Mantı (traditionelle gefüllte Mini-Nudeltaschen) und Veggieburger aus dem Hipster Restaurant.

Dann geht es weiter auf dem, das gesamte Schwarze Meer der Türkei begleitenden, Highway. Es geht zügig voran. Gekämpt wird meist behelfsmäßig zwischen Autobahn und Meer. An Stränden, auf Wellenbrechern, Fischerdocks. Wir werden oft nass. Einmal werden wir regelrecht durchnässt. Wir campten auf einm riesigen massiven Betonklotz am Ufer und am frühen Morgen kam es zu einem so heftigen Unwetter, dass wir Angst bekamen und alles im stömenden Regen abbauten. Mimos Reifen war schon wieder platt, sodass wir die Räder schiebend unter das Dach einer Tankstelle fliehen mussten. Dort verbrachten wir einige Stunden, knüpften Kontakt zum Besitzer, bauten das Zelt auf und ließen alles trocknen. Und so können wir immer noch sagen: We ♥ Tankstellen, denn hier gibt es Dach, Cola und Eis.

Eigentlich ist dieser Küstenhighway, der uns so schnell nach Georgien führte, eine Schande. Es gibt kaum Möglichkeiten ihn zu Fuß oder per Fahrrad zu überqueren und somit auch wirklich wenige saubere Strände, LKWs jagen auf ihm entlang und ein Tunnel folgt dem nächsten, das ist ziemlich gefährlich für Radfahrer. In den größeren Städten wie Trabzon und Rize nahm der Verkehr zudem noch stark zu.

Und doch trafen wir immer wieder Reisende. Sven ein Deutscher Motorradreisender, der viel über Zentralasien und die Pamir Berge zu berichten hatte. Und einen Schweizer Radler unterwegs in nichts weiter als engen, Neonfarbenen Hotpants, der Mimos mittlerweile echt labilen Reifen ein weiteres Mal für sie reparierte.

Auf der Suche nach WLAN trafen wir einen jungen Mann, der uns zu Tee einlud und uns von einem Strafverfahren gegen ihn berrichtete. Er wird derzeit vom “Staat” angeklagt bei der Gülen Bewegung teilgenommen zu haben und beim versuchten Sturz des derzeitige Präsidenten der Türkei und Protesten gegen ihn teilgenommen zu haben. Die größte und schmerzlichste Konsequenz daraus ist für ihn der Verlust seines Rechts zu Reisen.
Eine Andere Begegnung, die wir sehr genossen haben, war die mit einem 17-Jährigen Mädchen an einem Çiğ Köfte-Imbiss, das uns anfangs ganz schüchtern und später sehr detailliert und intelligent auf gutem Englisch über unseren Radtrip ausfragte.
Die Region, die wir durchfuhren, hatte ihre komplette Landwirtschaft dem Anbau von Haselnüssen und Tee gewidmet. Natürlich bekamen wir noch ein halbes Kilo Tee von ihrer Mutter geschenkt, die uns bei dem Gespräch von weitem beobachtete.

Wir genossen das zwar nicht traumhaft schöne aber doch dem Zweck dienliche Meer. Wir legten einen Strandtag ein, wuschen uns und relaxten. Die Pause war nötig, denn bei Yves kündigte sich ein Tennisellenbogen an, dem wir so vorbeugen konnten.

Georgien (საქართველო)

Und endlich kamen wir an die georgische Grenze! Der Grenzübergang lief problemlos, wir konnten an allen Autos, LKWs und wartenden Menschen vorbei und nicht ein Gepäckstück von uns wurde gescannt.

Jetzt fing das Autochaos richtig an. Straßen wurden schlechter und Autos stinkiger. Unser erstes Ziel war die Stadt Batumi ein Paradies für Touristen aus Russland, Vergnügungssüchtige und Shopaholics - es gibt keinen Dresscode mehr und man kann sich frei und ungezwungen dem Strandfeeling hingeben. Hier mussten wir schnell weg. Nach unserer ersten Nacht in Georgien gingen wir in ein kleines Café zum Frühstücken. Man empfing uns herzlich und wir erklärten mit der Hilfe einer ukrainischen Radreisenden dem Kellner auf Russisch unsere Bestellung. Jetzt konnten wir mit keiner der uns zur Verfügung stehenden Sprachen mehr etwas erreichen. Besonders tricky, wir konnten auch nichts mehr lesen. Kyrillisches russisch war schwer zu entziffern und die georgische Schrift ist zwar wunderschön, aber ähnelt eher dem Elbischen als irgendwas uns Bekanntem. Dann kam unsere Bestellung und dazu drei Gläschen Chacha (selbst gebrannter Obstschnaps). Hallo Georgien.

Dann weiter nach Poti, einer Hafenstadt, die sehr unter dem Krieg von 2008 gegen die Russen zu leiden hatte. Spuren davon waren immer noch deutlich zu sehen. Hier bereiteten wir uns auf einen Trip in den Kaukasus vor, mit der Hilfe von einem sehr hilfsbereiten Einwohner besorgten wir Brennalkohol und gingen auf einem sehr lebhaften und reichen Bazari Obst, Gemüse und Brot einkaufen. Wir freuten uns sehr auf die Berge aber noch mehr darauf, dass wir danach in Tiflis, Georgiens Hauptstadt, Kerim, Mimos Bruder und Diana seine Freundin treffen würden - “endlich normale Leute!”

Aus Khorok in den Pamir Bergen an der Afghanischen Grenze, eure Mimouna.


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